Quelle: GoogleEarth
Die meisten von uns hatte am Abend Fisch gegessen, aber nur Gerhard ging es schlecht. Wir bemühten also wieder unsere Standarddiagnose: Schleudertrauma. Sein Sturz war jetzt vier Tage her. Vielleicht war es aber auch doch der Fisch.
Mein Plan war, die Seilbahn zum Passo Padon zu nehmen und von dort über den Sentiero Geologica Arabba zum Bindelweg und auf diesem weiter bis zum Col dei Rossi, wo die Bikepark-Trails nach Canazei beginnen, zu fahren. Weil aber 2014 diese Liftanlage erneuert wurde, brauchten wir einen Plan B, B wie Bus.
Der Linienbus war beinahe leer und so machte der Busfahrer auch kein Aufhebens, als wir mit unseren fünf Mountainbikes zustiegen.
Der Fedaiastausee liegt malerisch unter der Marmolada, wo auch der kleine Fluss Avisio entspringt, der mit einer ansehnlichen Staumauer daran gehindert wird, nach Westen ins Fassatal abzufließen.
Damit sich das Wasser nicht klammheimlich nach Osten davonstielt, gibt es am Ostende des Sees noch einen zweiten, kleineren Damm.
Dort hätten wir aussteigen können, merkten aber, dass wir im Bus sehr viel schneller vorankamen und ließen uns deshalb erst an der westlichen Staumauer absetzen.
Gerhard hatte mit heftigem Schwindel zu kämpfen und traute sich die Bikeparkabfahrt nicht zu. Er wollte stattdessen die Straße nehmen. Wir verabredeten deshalb einen Treffpunkt in Canazei und trennten uns wieder einmal.
Hans, Sigurd, Helmut und ich begannen also unseren Aufstieg auf der Via del Pan. Das klingt nach einer Straße, ist aber praktisch das Gegenteil davon. Der Weg war so steil, dass man die Bikes meistens tragen musste. Gerhard blickte uns noch eine Zeitlang nach und es schien, als ob ab und zu ein schadenfrohes Grinsen über sein Gesicht huschte.
Bald verloren wir ihn aus den Augen.
Nach etwa 300 Höhenmeter kamen wir auf unsere ursprünglich geplante Route zurück und waren auf dem unter Wanderern und Mountainbikern gleichermaßen beliebten Bindelweg.
Obwohl das Höhenprofil nun einigermaßen waagrecht verläuft, muss man immer wieder absteigen und schieben. Immerhin gibt einem das die Gelegenheit, sich einmal umzusehen und zu vergewissern, warum man ausgerechnet hier her gekommen ist.
Im Laufe unseres Aufstiegs hatten sich hinter uns immer mehr Nebelschwaden zu Wolken zusammengezogen und aus den sich gelegentlich öffnenden Lücken lugten dann Teile der Marmolada und ihres Gletschers hindurch. Eine gute Fernsicht wäre uns wohl lieber gewesen aber die gespenstische Atmosphäre in und über den Wolken hatte auch ihren Reiz.
An der Baita Fredarola knickt der Bindelweg nach Norden zum Pordoipass ab und ab hier begegneten wir auch den meisten Touristen. Oft waren es Eltern, die ihren Kindern ein Smartphone in die Hände gedrückt hatten um diese dann heimlich auf den Berg fahren zu können. Und so liefen sie uns dann auch ständig vor die Räder. Den Blick konzentriert auf die kleine rechteckige Fläche vor ihnen, ungefähr den Weg zwischen Böschung und Abgrund einhaltend und die sie umgebende Pracht völlig ignorierend folgten sie ihren Eltern, die mehr oder weniger gleichgültig darauf vertrauten, dass der Nachwuchs einen Sinn für die Schönheit der Natur und die Realität der Schwerkraft entwickelte.
Wir wählten einen leichten Trail durch den Bikepark, der sich nur rückblickend als großes Wagnis herausstellte. Um die Spannung zu halten, verrate ich noch nicht, warum!
Hans‘ Kamera lief während der Abfahrt und die verwackelte Aufzeichnung wird heute noch von Kinderärzten verwendet, die damit ihre Patienten erfolgreich dazu bringen, verschluckte Murmeln, Münzen oder Playmobilfiguren wieder zu erbrechen.
An der Monti Pallidi Hütte kreuzten wir die Pordoi-Passtraße und nun ging es auf interessanten Naturtrails weiter, die mir auch heute noch lieber sind als die künstlich angelegten Spuren durch die Bikeparks.
Mehrfach kommt man kurz auf die Straße zurück und bei einer dieser Gelegenheiten habe ich dann meine drei Begleiter verloren. Nach einer angemessenen Zeitspanne des Suchens, Rufens und Fluchens setzte ich meinen Weg alleine fort, in der Hoffnung, dass die anderen Drei nicht wieder den Berg hinauf kurbeln würden.
Bald ging mein Trail in einen breiten Fahrweg über, der im Winter unter dem Schnee der Lupo Bianco-Abfahrt verborgen liegt und endlich konnte ich mein Rad einmal richtig rollen lassen. Keine Frage, bei solchen Geschwindigkeiten ist es enorm wichtig, sich auf sein Material verlassen zu können. (Das sage ich wegen des Spannungsbogens…)
Gerhard und die anderen warteten in Canazei bereits auf mich. Es ging ihm etwas besser und nach einigen Müsliriegeln machten wir uns auf den Weg nach Predazzo. Wir folgten dabei dem Fassatalradweg und kamen flott und weitgehend ereignislos voran.
Am Marktplatz in Predazzo schwärmten wir auf der Suche nach einer Unterkunft aus. Sigurd schien erfolgreich gewesen zu sein, er winkte uns vom anderen Ende des Platzes zu. Ich schwang mich also in den Sattel. Ein knallendes Geräusch irritierte mich dabei nur wenig, ich konnte aber nicht losfahren, weil mein Hinterrad irgendwo am Rahmen schleifte. Eine gewissenhafte Inspektion des Rahmens erbrachte schließlich, dass das Sattelrohr zwischen den beiden Befestigungen des Dämpfers glatt auseinandergerissen war. Das Oberrohr reagierte genau wie ich geknickt darauf. Mich beschlichen erste Zweifel, ob ich am kommenden Tag damit noch über den Passo Sadole käme.
Zu allem Überfluss stellte sich Sigurds Optimismus hinsichtlich einer Unterkunft auch noch als unbegründet heraus.
Schließlich fanden wir freie Zimmer mit Halbpension im Touring-Hotel. Die Zimmer waren groß und das Menü großzügig, meine Laune besserte das nicht.
Gerhard und ich ermutigten Hans und die Zwillinge die noch verbleibenden beiden Etappen ohne uns zu beenden.
Wir würden einen Bus nach Trient und von dort weiter nach Riva nehmen, wo wir einen Tag vor den anderen ankämen.
Inzwischen denke ich immer noch über die Stellen im Bikepark, im Gegenverkehr auf der Pordoistraße oder im steilsten Teil der Abfahrt nach, wo mein Rahmen nicht gebrochen ist.
Es hätte schlimmer kommen können.