GPX-Daten der Etappe

Marco Pantani hat im Jahr 1994 den Mortirolo in 42 Minuten und 40 Sekunden bezwungen. Wir benötigten 19 Stunden und 58 Minuten.
Das wollten wir natürlich als den langsamsten jemals gefahrenen Aufstieg in die Annalen dieses Berges eintragen lassen, jedoch war man nicht bereit, unsere Pausenzeit einschließlich der Übernachtung anzuerkennen.
Das ist sehr schade, weil wir bereits einen Gedenkstein für die Kurve Nummer 19 entworfen hatten.

Offenbar sagt kein Mensch mehr Passo della Foppa und auch die Schilder haben sich an die Namensgebung des Giro d’Italia angepasst.
Wir erreichten die Passhöhe entspannt und ausgeruht, allerdings sollte es für uns noch weitere dreihundert Höhenmeter hinaufgehen.


Von der Straße nach Monno zweigt direkt am Hotel Passo Mortirolo ein geteerter Weg nach Osten ab, dem wir bis zu seinem höchsten Punkt knapp unterhalb des Berges Pianaccio folgten. Meistens geht es gemächlich hinauf. Unterhalb des Weges sieht man gelegentlich einen Bauernhof. Abgesehen von zwei Hirten war die Straße aber menschenleer. Es herrschte eine himmlische Ruhe und wir genossen die unverbaute Fernsicht auf die umliegenden, meistens sanften und bewaldeten Berge.

Am Pianaccio verließen wir die geteerte Straße. Auf einem gut befestigten Wirtschaftsweg ging es hinab zu den Casine di Val Bighera, wo bereits einige gründlich wiederkäuende Rindviecher auf uns warteten.
Ich habe mich schon gelegentlich über deren Exkremente geäußert und muss es nun wieder tun, da man ihnen hier einfach nicht entkommen kann.
Bemerkenswert ist zum Beispiel, dass wir keine vertrockneten Kuhfladen sahen. Alles war frisch, cremig und vor allen Dingen klebrig.
Von allen Dingen auf der Erde kommt nichts einem Perpetuum Mobile näher als diese 100 Meter Weide an den Casine. Das saftige grüne Gras verwandelt sich in klebrigen grünen Glibber, aus dem dann umso mehr und noch saftigeres grünes Gras hervorwächst und so weiter.

Der Pfad, der nun begann, hatte es in sich. Es war oft sehr steil und fast überall lagen lose Brocken im Weg, denen man nicht immer ausweichen konnte. Die Bikes und die Steine bewegten sich dadurch ständig überraschend zur Seite, manchmal Vorderrad und Hinterrad gleichzeitig.
Wenn man gute Nerven hat, kann man trotzdem alles fahren.
Hans hatte an einer Stelle Pech und sein Rad stürzte so auf einen dieser Brocken, dass der Hydraulikschlauch vom Auslöser seiner Sattelstütze abriss. Das stellte sich am Ende als kein allzu großes Problem heraus.
Helmuts Kommentar zu der Situation war ein für uns zunächst unverständliches „Das stinkt ja wie die Pest.“
Der Satz erklärte sich, als er, während wir noch über Reparaturmaßnahmen berieten, begann, mit den bescheidenen Hilfsmitteln, die ihm die umgebende Natur zur Verfügung stellte, den verhassten Rinderdreck von seinem Fahrrad zu entfernen.
Wir setzten in dieser Hinsicht mehr auf Schwerkraft, Fahrtwind und potenziell auftretende Bachdurchquerungen.
Hans hatte nun bis zum Ende unserer Tour stets einen Inbus greifbar, um bei Bedarf die Sattelhöhe auf die altmodische Art zu verstellen.

Bei Komoot wird der Weg unterhalb der Casine di Val Bighera zu Recht als S2 eingestuft. Für uns war er auch deshalb ein Erlebnis, weil er in keiner Weise für die Benutzung mit dem Mountainbike präpariert war. Dieses „Seht zu, wie Ihr zurechtkommt!“ ist für mich ein Ansporn, genau das zu tun.

Wenn man im Val Grande die Alta Via Camuna erreicht, ist man in einem Urlaubsparadies der Italiener. Es wimmelte von Wanderern, Lehrer waren mit Schulklassen unterwegs und überall standen hübsche, mehr oder weniger kleine Häuser aus Naturstein mit üppigem Blumenschmuck an den Fenstern und in den Gärten.

Hinter der Auenlandbrücke über den Bach, die Torrente Val Grande, beginnt die Ciclovia Karolingia, die eine sehr lohnende Alternative zum Radweg entlang dem Fluss Oglio darstellt. Man befindet sich dort ständig am Südhang oberhalb des Tales und muss natürlich den ein oder anderen Höhenmeter mehr kurbeln.
Die gute Luft, die schöne Aussicht und der abwechslungsreiche Weg sind aber mehr als eine Entschädigung dafür.
Wir brachten noch etwas Höhe aus dem Val Grande mit und an der berühmten Chiesa di San Clemente vorbei rollten wir immer noch bergab. Erst oberhalb von Stadolina wurde es wellig und ging sogar hauptsächlich bergauf.
Wir passierten halb zerfallene, leerstehende Gebäude. Einmal ging es unter einem Dach hindurch, das der Besitzer auf der Böschung oberhalb des Weges abgestützt hatte und Teil eines Holzschuppens war. Wenn der Hang oberhalb des Weges zu steil war, wurde er von urigen Natursteinmauern gehalten. Auch die Fahrbahn selbst bestand oft aus grob behauenen Steinplatten, die vermutlich vor hunderten Jahren bereits verlegt worden waren.
Im Örtchen Vione mit kann man buchstäblich erfahren, dass die Erreichbarkeit mit einem Auto früher kein Planungskriterium gewesen ist.

Bevor wir Ponte di Legno erreichten galt es dann doch noch einmal, einen ganz ordentlichen Anstieg zu überwinden. Etwa 130 Höhenmeter mussten wir bis Villa Dalegno hinauf. Uns schreckte das nicht, weil es quasi der Schlussanstieg des Tages war.
Auf Teer rollten wir ins Tal des Oglio hinunter, der hier al Oglio Narcanello aus den schneebedeckten Adamellobergen herunterkommt.

In 19 Minuten brachte uns die Seilbahn vom 1270 Meter hoch gelegenen Ponte di Legno auf den 1900 Meter hohen Passo Tonale, wo wir an der überdimensionierten Durchgangsstraße nach etwas essbarem suchten.
Im Vergleich zum geschäftigen Ponte di Legno wirkte Passo Tonale wie ausgestorben. Durch die Straßen rollendes Tumbleweed wäre irgendwie passend gewesen.
Immerhin gab es leckere Sandwiches zum fairen Preis und kaltes Bier.

Mithilfe der Valbiona-Seilbahn vermieden wir auch noch die letzten paar Höhenmeter. Ich wollte die obere Hälfte der Bikepark-Abfahrt nutzen. Im Vergleich zu dem Bikepark in Livigno war das aber eine eher langweilige Angelegenheit. Wir fuhren einige nur leicht angeschrägte Kurven mit mäßigem Tempo und waren am Ende gar nicht unglücklich, aus den Trails heraus nach Osten zum Val di Sole hin abzubiegen.

Die Fahrt vom Tonalepass hinunter nach Fucine war schon mehr nach unserem Geschmack. Meistens war der Weg breit und selten gab es eine knifflige Stelle. Aber man konnte es einmal so richtig krachen lassen. Die Federung bekam einiges zu tun und die Reifen bewiesen einmal mehr, dass sie ihr Geld wert waren.
Zwischendurch kamen wir auf geteerte Abschnitte. Dann galt es etwas zurückhaltender zu fahren, denn es ging durch bewohnte Ortschaften. Hinter dem Dorf Cortina gab es dann noch einmal freie Fahrt auf einem vom Gras gut befestigten Schotterweg nach Fucine im Tal, wo der perfekt gepflegte Val di Sole-Radweg beginnt.

Kurz vor Dimaro weckten mich meine Begleiter. In den Ort hinein kommt man durch eine Unterführung und es gab einen kleinen Wettstreit, wer die Rampe neben der Treppe hinauffahren können würde.

Wir erreichten das Hotel San Camillo bei strahlendem Sonnenschein, stellten unsere Räder ab, bestellten ein Bier und von einer Sekunde auf die andere öffnete der Himmel seine Schleusen. Das Wasser überschwemmte die ganze Fläche vor dem Hotel und selbst unter dem großen Vordach war man nicht mehr im Trockenen.
Wir hatten Halbpension und waren froh, das Hotel nicht mehr verlassen zu müssen.

Nach dem Abendessen setzten wir uns zum Skatspielen in einen ruhigen aber gut gefüllten Nebenraum des großen Foyers.
„Achtzehn?“
„Ja“
„Zwanzig?“
„Ave, Maria, piena di grazia, il Signore è con te.“…

Wir fanden einen anderen Platz in einer verlorenen Ecke des Foyers, wo man sein Bier selber organisieren musste.
Das Hotel beherbergte außer uns noch eine große Reisegruppe bekennender katholischer Christen, die dort Seminare und Andachtszirkel abhielten.
Johannes, der einzige Katholik unter uns, wurde in gewisser Weise erleuchtet und gewann unverdienterweise beim Skatspielen.

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