Helmuts Specialized-Rahmen hatte die Nacht nur mit Mühe überstanden. Der Fahrradkeller im Haus Elisabeth war trocken und diese ungewohnte Umgebung begann, dem Rahmen heftig zuzusetzen. Glücklicherweise bemerkte Sigurd das Malheur noch rechtzeitig und wässerte das wertvolle Teil noch vor dem Frühstück.
Der Gartenschlauch wäre im Grunde nicht nötig gewesen, versorgte uns der Himmel doch den ganzen Tag über mit dem jeweils benötigten Nachschub.
Bei Landeck mündet die Sanna in den Inn und nur wenige Kilometer westlich davon, entsteht sie aus dem Zusammenfluss aus Trisanna und Rosanna. Zwischen diesen beiden Tälern, dem Paznauntal und dem Stanzer Tal, erstreckt sich das Verwall, dessen höchste Gipfel über 3000 m hoch sind.
Unser Weg führte uns durch das Schönverwalltal etwa 1000 Höhenmeter hinauf zur Heilbronner Hütte auf etwas über 2300 m. Der Weg ist ein Teil der klassischen Albrecht-Route und selbst bei schlechtem Wetter sind dort viele Radfahrer unterwegs. Eine große Gruppe vor uns entpuppte sich am Ende als eine geführte Transalp-Tour. Von Zeit zu Zeit überholten wir einen Nachzügler und so musste die Hauptgruppe schließlich unterhalb der Konstanzer Hütte, dort wo der Fasulbach nach Süden aus dem Rosannatal abzweigt, auf die anderen warten. Bis dahin bot uns das Gelände eine bunte Mischung aus Flachstücken und mehr oder weniger heftigen Anstiegen. Danach ging gleichmäßig und gemütlich an der Rosanna entlang bis zu dem schmalen Steg, auf dem man das inzwischen zum Bach geschrumpfte Gewässer überquert. Die einzige Möglichkeit sich zu verfahren, wäre der Abzweig hinunter ins Silbertal unterhalb des Matterhorns von St. Anton, dem mächtigen Patteriol, gewesen.
Der Guide der Transalpgruppe schickte wohl deshalb die ambitionierteren Radfahrer voraus, um selbst bei den Genussradlern zu bleiben. Insgesamt umfasste die Gruppe wohl 20 Mountainbiker. Ein halbes Dutzend davon erreichte die Heilbronner Hütte lange vor uns und viele kamen dort oben an, nachdem wir bereits unsere Leberknödelsuppen und Kaiserschmarrn verzehrt hatten.
Es ist sicher eine Kunst, die Einen nicht zu überfordern und gleichzeitig den Anderen eine Herausforderung zu bieten.
Bis zur Rosannabrücke ist der Weg in einem guten Zustand und man kommt gut voran. Wenige Meter später verwandelt er sich in einen brutal steilen und verblockten Pfad, auf dem an Fahren nicht zu denken ist und selbst Schieben an einigen Stellen nicht mehr funktioniert.
Vor uns hatten einige ihr Rad geschultert und kamen damit sogar recht flott voran. Ich hatte ein wenig Sorge, bei einem Fehltritt die Hände nicht frei zu haben und nutzte das Fahrrad mit seinen Bremsen deshalb lieber als zwar sperrige aber zuverlässige Aufstiegshilfe.
Das Steilstück knickte abrupt in die Horizontale ab und vor uns lagen die beiden Scheidseen. Östlich davon auf einer einladenden Anhöhe erwartete uns die Heilbronner Hütte.
Es war saukalt und nass. Überall auf der Terasse und dem Vorplatz lagen wild verstreut Mountainbikes, von ihren verzweifelten Besitzern auf der Flucht vor Frost und Regen schutzlos zurückgelassen.
Ich stieg vom Rad und als ich die Tür der Hütte erreichte, hörte ich, wie hinter mir mein Rad in den Matsch kippte.
Der kleine Abstecher von dem Weg unterhalb der Hütte zur Hütte selbst lohnte sich allemal. In der Gaststube herrschte Atmosphäre, und zwar in jeder Hinsicht.
Die Luft war feucht und warm und bot einen Vorgeschmack auf das gesamte erhältliche Speise- und Getränkesortiment. Das meiste davon entströmte nicht der Küche oder Theke, sondern den vielen Mündern, in denen die zuvor zugeführte Nahrung direkt in unverständliche Laute umgewandelt wurde.
Wir adaptierten das Verhalten der Mehrheit und verzehrten wohlschmeckende Suppen mit diversen Knödeln, die gefräßigeren auch noch einen Kaiserschmarrn.
Als wir schließlich aufbrachen, war wegen des Nebels vom Wetter immer noch nichts zu sehen.
Man kann von der Heilbronner Hütte aus den sehr gut ausgebauten Fahrweg zum Kopsstausee hinunter jagen, muss am Ende allerdings wieder ein paar Meter hoch, um zur Staumauer zu gelangen. Wenn man es eilig hat, ist das in jedem Fall der richtige Weg.
Wir zweigten kurz hinter der Verbella-Alm links ab, zunächst über einen überdüngten Weg an wiederkäuenden Veganern vorbei, später auf saubererem Schotter und grobem Stein erst noch etwas bergauf, dann auf einem nicht sonderlich beeindruckenden Trail hinunter zum Zeinissee. Zum Seeufer gelangt man auf einem überwachsenen Pfad, auf dem man Mulden und Steinbrocken unter der Vegetation allenfalls erahnen kann. Oder erspüren: Rainer parkte sein Vorderrad in einer solchen Mulde-Stein-Kombination und legte einen sauberen Sturz hin. Der Pfad schien uns danach nicht mehr so einladend und wir blieben auf dem vergleichsweise einfachen Trail hinunter zur Zeinisstraße.
Sobald man das Tal erreicht, sollte man auf den Paznaunradweg wechseln. Man bleibt damit in sicherem Abstand zur Straße, kommt gut voran und kann auch ein wenig die Landschaft ringsum genießen, die in unserem Fall zaghaft unter den Wolken hervorlugte.
Einer alten Tradition folgend, nutzten wir wieder die Silvrettabahn als Aufstiegshilfe zur Mittelstation und derselben Tradition folgend regnete es dort oben.
Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass die Zahl der Fotos besonders auf dem letzten Teil der Etappe sehr spärlich gewesen ist. Das lag hauptsächlich daran, dass wir alle etwas die Schnauze voll hatten vom ständigen Regen. Die Aussicht, nun noch mehr als eine weitere Stunde durch den kälter werdenden Regen zur Heidelberger Hütte hinauf zu kurbeln und dort im unbequemen Bettenlager eine schlaflose Nacht verbringen zu müssen bewog uns, in der Bodenalpe um klimatisches Asyl zu ersuchen.
Es sei alles belegt, hieß es zunächst. Letztlich standen auf wundersame Weise jedoch drei Doppelzimmer mit warmer Dusche zur Verfügung. Nur zum wohlverdienten und wohlschmeckenden Abendbrot mussten wir etwas abseits der übrigen Gäste sitzen. Da wir zu diesem Zeitpunkt bereits grundgereinigt waren, kann ich mir diese Sonderbehandlung bis heute nicht erklären. Gemütlich war es trotzdem und auch im Nachhinein von hier noch einmal ein Hoch auf die Wirtsleute der Bodenalpe bei Ischgl.