GPX-Daten der Etappe

Wenn man ganz konsequent eine Pedalumdrehung nach der anderen tritt, kann man auch lange Anstiege überwinden. Einen kleinen Vorgeschmack darauf bot uns heute der Weg zur Forcola di Livigno. Wir blieben im Wesentlichen auf der Route, die wir auch 2013 schon gefahren waren und kapitulierten routiniert vor den letzten steilen Kehren.





Den kleinen Trail zur Berninapassstraße fanden wir in diesem Jahr mit Leichtigkeit und weil es bald Mittagszeit war als wir die Bahnstation Ospizio erreichten, kehrten wir im Bahnhofskaffee ein und wärmten uns bei einer Tasse Kakao oder Kaffee und etwas Gebäck.
Dieses Jahr wollten wir über den Gasthof Alp Grüm zum Berninatrail fahren. Das erwies sich als eine sehr gute Entscheidung. Zwar mussten wir einige Höhenmeter zusätzlich in Kauf nehmen, dafür war aber alles gut fahrbar. Das Panorama wäre auch für erheblich mehr Mühen noch eine großzügige Entschädigung gewesen.





Der touristische Höhepunkt des Tages war für mich der Ausblick vom Belvedere Alp Grüm.
Nach Süden kann man nahezu das ganze Poschiavo-Tal überblicken, in der Ferne den Lago di Poschiavo.
Östlich geht der Blick hinunter zur Bahnstation und dahinter hinauf über Wasserfälle an Felsabbrüchen unterhalb des riesigen Palü-Gletschers bis ins ewige Eis der Berninagipfel.
Das Wetter war nicht perfekt, aber in diesem Moment verliehen die Wolken unter uns der Szenerie noch einen zusätzlichen Zauber.
Vielleicht sollte ich einmal nachschlagen, was das Wort Belvedere eigentlich bedeutet.
Weil wir unseren Bremsen vertrauten, schoben wir unsere Sitzbeinhöcker weit hinter unsere Sättel und rollten zur Bahnstrecke.
Die Touristen im Treno Rosso, dem wir Vorrang gewähren mussten, hielten uns wohl für Eingeborene. Jedenfalls wurden wir ausgiebig fotografiert.


Der Berninatrail beginnt an der Bahnstation Alp Grüm. Nach nur einer Kehre überquert man erneut die Gleise und gerät dann auf einen relativ steilen geschotterten Pfad. Um die Oberfläche zu stabilisieren, Wasser seitlich abzuleiten und Radfahrer an allzu sportlicher Fahrweise zu hindern, wurden alle paar Meter scharfkantige Steinplatten quer in den Boden gesetzt. Wir ignorierten das und nach wenigen Metern hatte Gerhard einen Platten.
Während er den Schlauch wechselte und den nun wieder dichten Reifen wieder aufpumpte, dozierte Sigurd sachkundig über angemessene Fahrweise im vorliegenden Gelände, über den richtigen Reifendruck und den Vorteilen, durchdachter Kaufentscheidungen bei Reifen und Schläuchen. Als schließlich Gerhards Fahrrad unter seiner Aufsicht wieder fahrtüchtig gemacht war, schwang er sich auf sein eigenes Mountainbike, dessen sorgfältig ausgewählter und wohldosiert aufgepumpter Hinterreifen er mit akrobatischem Geschick an genau der gleichen Stelle platt gefahren hatte wie Gerhard.
Während ich ihm bei Montage und Aufpumpen half, musste er sich zur Strafe meine wohlgesetzten Worte über Synergieeffekte bei gleichzeitiger Reparatur zweier Reifenpannen anhören.
Gerhard, die Zwillinge und ich waren den Berninatrail 2013 bereits gefahren. Inzwischen hatten wir etwas mehr Zutrauen in unsere Reifen und Bremsen gefasst und trauten uns sogar, auch im Steilen gelegentlich zu lenken. Das erleichterte die Sache erheblich und wir mussten fast nur an den Bahnübergängen vom Rad steigen.
Im unteren Bereich war der ursprünglich naturbelassene Trail mit einigen Bikeparkelementen versehen worden, wodurch diese Passagen leichter zu fahren waren, allerdings aber auch den Charakter des Trails ein wenig verdarben.
(Während ich das schreibe, weiß ich bereits, dass diese Veränderungen keinen Bestand hatten.)
Natürlich gibt es wieder keine Bilder von der Abfahrt. Mein Rat ist aber ohnehin: Selber fahren!
Ab Poschiavo braucht man keine Dämpfer mehr und hinter dem Lago di Poschiavo blieben wir bis Tirano in Italien komplett auf der Straße.
Dort deckten wir uns in einem Supermarkt mit Bananen und Getränken ein.
Während ich eine Flasche wie üblich mit süßem Eistee befüllte, hatte Gerhard am Ende noch einen Liter Cola übrig, den er nicht wegschütten wollte. Also gewährte ich seiner kohlensäurehaltigen Limonade vorübergehend Asyl in meiner zweiten Flasche.
Um es kurz zu machen: Dieses zusätzliche Kilo habe ich bis zur Passhöhe am Mortirolo hinaufgeschleppt und dort in den Straßengraben geschüttet. Ich zweifle immer noch, ob das die richtige Reihenfolge war.
Der Mortirolo heißt eigentlich Passo della Foppa und ist ein berühmter Anstieg beim Giro d’Italia. Die Kehren sind von Mazzo di Valtellina bis zum Gipfel absteigend durchnummeriert und man hat unterwegs dadurch einen sehr groben Anhaltspunkt, was noch vor einem liegt.




Bereits beim Einstieg in den Berg regnete es und das einzige, was sich im Laufe des Anstiegs ändern sollte, war die Temperatur des Wassers.
Rainer setzte sich gleich ein wenig von uns ab und ich merkte bald, dass das gemächliche Tempo meiner übrigen Begleiter meinem Sitzfleisch nicht bekam. Also beeilte ich mich, zu Rainer aufzuschließen, was dieser sofort als Kriegserklärung interpretierte.
Mit 13 kg Fahrrad, 8 kg Gepäck und 2 kg Getränke sprinteten wir 1300 Höhenmeter unserem Tagesziel entgegen, jeder von uns beiden ständig an seiner Leistungsgrenze und immer in der Hoffnung, sich im nächsten Flachstück ein wenig zu regenerieren.
Am Mortirolo gibt es kein Flachstück. Die Auffahrt variiert zwischen sehr steil und extrem steil. Außerdem gaukeln die Kehren einem immer wieder einmal vor, gut voranzukommen. 25, 24, 23 und dann lange Zeit nichts….
Nach zwei Stunden und fünf Minuten waren wir oben und posierten für ein Zielfoto. Der letzte Kilometer zum Albergo Passo Mortirolo sollte bergab gehen. Nach 100 Metern mussten wir anhalten und eine warme Jacke überziehen. Es regnete immer noch und es war schneidend kalt geworden.
Im Gastraum des Albergo war gut geheizt. Uns war so kalt und übel, dass wir vor unserem ersten Bier einen Kakao tranken.
Als die Zwillinge, Gerhard und Hans kamen, hatten wir heiß geduscht und unsere nassen Klamotten ausgewaschen. Die Übelkeit nach der Anstrengung kam nur noch in Schüben.