GPX-Daten der Etappe

Bei der Tour de France ist die Königsetappe häufig das als am schwersten eingeschätzte Teilstück der Rundfahrt, oft verbunden mit der Überquerung der höchsten Erhebungen.
Unser Weg heute sollte alle diese Kriterien erfüllen.

Nach unserem Start in Mals ging es zunächst hinunter nach Laatsch, wo wir hinter dem Ortsende mit 945 Metern den tiefsten Punkt des Tages erreichten. Zum Rifugio Garibaldi war das ein Höhenunterschied von genau 1900 Metern.
Hinter dem Ort Mustair kann man einen netten Pfad am Rambach entlang fahren. Wir wollten aber keine Kalorie verschenken und so wählten wir den gut befestigten Wirtschaftsweg auf der Südseite des Tals.
Etwas oberhalb von Sta. Maria mündet der Weg mit einem kurzen geteerten Gefälle auf die Passstraße zum Stilfser Joch. Bis dahin hat man mit sehr angenehmer Steigung bereits 450 Höhenmeter überwunden.

Nach wenigen Metern auf der Stilfser Joch Straße gab es einen Hinweis für Kraftfahrer. Wegen einer Radsportveranstaltung war die Straße ab dem Umbrailpass sowohl nach Bormio als auch zum Joch hin gesperrt. Das war ein Segen für uns, hatten wir nun die Straße doch fast für uns alleine.
Ein weiteres Schild kurz darauf zeigte unerwartete Besonderheiten der Schweizer Rechtschreibung.
Das Wetter war ideal. Wir stoppten gelegentlich für einen Müsliriegel oder um unser kleines Fahrerfeld nicht allzu weit auseinanderzuziehen.
An den immer häufiger auftretenden Schneeflecken neben der Straße merkten wir, wie wir uns langsam der Todeszone näherten.
Am Umbrailpass war die Straße tatsächlich gesperrt. Die letzten Radfahrer kamen von Bormio herauf und wir mischten uns unter sie. Das Stilfser Joch und das Rif. Garibaldi konnte man bereits vorher von der Straße aus sehen. Nun gelangte es in greifbare Nähe.
Wir erwarteten ein Gedränge auf der Passhöhe und entschieden uns daher im Albergo Folgore nur knapp unterhalb der Partyzone für ein Mittagessen einzukehren.
Es war bereits 14 Uhr und wir die einzigen Gäste. Wir bestellten Tris di Pasta und die netten Kellner nutzten die Gelegenheit ihre Restbestände in gleich drei verschiedenen Nudelsorten loszuwerden.
Immer wieder kamen sie mit Nachschlag und unsere gute Erziehung, die leckere Zubereitung und unser Hunger gestatteten es nicht, ihre Bemühungen zurückzuweisen.
Wir waren für jede kommende Herausforderung gewappnet.

Auf der Passhöhe herrschte ein Trubel wie auf einem Volksfest. Die Sperre war inzwischen aufgehoben und so schoben sich bereits wieder die ersten Autos durch die wenig italienische Fleischkäse- und Bierseligkeit.

Wir hatten höhere Ziele.

Der letzte Anstieg zum Rifugio Garibaldi ist höllisch steil und es gelingt kaum, das Fahrrad hinaufzuschieben. Kurze Pausen lohnen sich aber nicht nur wegen des hier nur noch spärlich angebotenen Sauerstoffs. Die Kulisse der verschwenderisch platzierten Bergriesen mit ihren Gletschern und der Tiefblick auf die Passstraße, die sich hier von Prad her hinaufwindet, ist grandios.
Außer Atem aber vor Stolz beinahe berstend erreichten wir den höchsten Punkt unserer diesjährigen Tour. Und wir hatten bisher nur eines unserer drei Nudelgerichte verbraucht.
Natürlich machten wir in aller Bescheidenheit auch ein oder zweihundert Gipfelfotos.

Vom Rif. Garibaldi führt ein alter Karrenweg zurück zum Umbrailpass. Dort, wo das Gelände steil ist, windet er sich in 15 und einer halben Kehre hangabwärts. Die Talseite ist dabei jeweils eine aus Natursteinen aufgeschichtete Mauer, die in den Kehren selbst durchaus auch einmal mehr als zwei Meter hoch sein kann.
Ich entdeckte, dass ich neben einer leichten Akrophobie auch eine Orthokurvaturschwäche besitze. Die meisten Rechtskurven musste ich schieben. Links herum ging es. Etwas mutigere Menschen als ich sind alles gefahren.
Der Weg selbst ist zwar etwas steinig aber gut zu befahren und jenseits der Serpentinen kann man es auch einmal richtig rollen lassen.
Endlich führt er noch über eine schmale Brücke ohne Geländer und nach ein Paar Pedalumdrehungen ist man wieder auf dem Umbrailpass in 2500 m Höhe.

Hier verließen wir nun die Zivilisation.
Am Südhang des Piz Umbrail entlang folgten wir dem Trail hinauf zur Bocchetta di Forcola. Vieles davon kann man fahren, manchmal geht es sogar wieder ein Stück bergab. Das Pfeifen der Murmeltiere begleitet einen ständig und in sicherer Entfernung lassen sie sich auch immer wieder blicken. Weniger scheu sind die Rinder, die sehr nachdrücklich auf ihr Wegerecht in dieser Gegend bestanden.
Bocca ist der Mund aber auch eine Öffnung. Eine Bocchetta ist also eine kleine Öffnung.
Diese hier muss wohl im Ersten Weltkrieg auch eine Rolle gespielt haben. Die Reste der Befestigungen sind noch begehbar.

Der Blick nach Westen verhieß nichts Gutes. Überall waren die Hänge von ausgedehnten Schneefeldern bedeckt und alle sichtbaren Wege und Pfade endeten an der ein oder anderen Stelle im Schnee.
Wir waren so weit gekommen, hatten unser Quartier im Rifugio Monte Scale Park bereits gebucht und waren außerdem Optimisten. Also rollten wir hinunter zur Caserna degli Alpini. Von dort sollte man den Weg zur Bocchetta di Pedenolo gut einsehen können.

Es war schlimmer als wir befürchtet hatten. Bis zur gegenüberliegenden Passhöhe würden wir mindestens vier ausgedehnte Schneefelder überqueren müssen, mit vollem Gepäck, Mountainbikes und ungeeignetem Schuhwerk. Es war absurd, es auch nur zu versuchen. Also marschierten wir los.

Wir waren nicht die Ersten, die das Schneefeld überquert hatten. Mein Navi war nach wie vor unbrauchbar und so folgten wir den tiefen Spuren im sulzigen Schnee. Immerhin bewahrte uns das vor einem Einbruch in eine möglicherweise verdeckte Rinne.
Ein Blick auf mein Osmand (das ist eine App auf meinem Handy mit sehr nützlichen Offline-Karten) hinter dem ersten Schneefeld offenbarte, dass wir ein wenig zu weit nach Osten abgekommen waren. Der Grund war wohl, dass etwas weiter unten die komplette Fläche schneebedeckt war und es hier am Hang doch die eine oder andere offene Stelle gab.

Meine Begleiter hinter mir begannen zu diskutieren und so legte ich genug Abstand zwischen sie und mich, dass sie mich entweder alleine lassen oder mir folgen mussten. Schließlich erreichte ich den anvisierten Weg an der nicht anvisierten Bocchetta di Pedenoletto. Das war ein kleiner Umweg und ein Paar Höhenmeter mehr als geplant aber ein Weg. Ein Weg leider, der in einem weiteren Schneefeld mündete, dass die Neigung eines Hausdachs hatte und irgendwo weit unten in einem Feld mächtiger Geröllbrocken endete. Hier abzurutschen wäre fatal gewesen. Während ich nach einer Möglichkeit suchte, das Schneefeld zu umgehen, waren die anderen angekommen und Johannes zögerte nicht eine Sekunde. Er begann, eine wenig vertrauenswürdige Spur in den Schnee zu treten und hatte bald die andere Seite erreicht. Helmut folgte ihm und Hans und ich saßen mit vier Fahrrädern auf der falschen Seite des Schneefeldes fest.
Das Problem war gleichzeitig seine Lösung. Wir schlugen Pedale und Lenkstangen der Räder so tief in den Schnee, dass sie unmöglich abrutschen konnten. Mit diesen Behelfseispickeln arbeiteten wir uns so über die rutschige Fläche und gelangten letztlich zu unseren beiden weniger vorsichtigen Kameraden.

Hinter der Bocchetta di Pedenolo beginnt ein endloser Trail hinunter zu den Laghi di Fraele. Im oberen Bereich ist er breit und der Untergrund wird durch we, wennnn auch spärlichen Bewuchs stabilisiert.
Kurz hinter der Malga Pedenolo, dem einzigen Gebäude entlang des Weges, geht er dann in einen steinigen Pfad über, der in scharfem Zickzack ständig den steilen Abhang quert.
Nach 15 zum Teil sehr engen Kehren erreicht man schließlich den gut befestigten Wirtschaftsweg auf dem man schnell die Chiesa di San Erasmo und kurz darauf die untere Staumauer, die Diga di Cancano erreicht.
Meine Freude an der Abfahrt wurde nur dadurch getrübt, dass meine Vorderradbremse zusehends schlechter funktionierte. Oft musste ich den Bremshebel drei oder viermal durchziehen, bis endlich eine Bremswirkung eintrat.
In Livigno konnte ein freundlicher Fahrradmechaniker am folgenden Tag das Problem beheben, indem er die total verdreckte Bremsflüssigkeit vollständig austauschte.

Das Rif. Monte delle Scale ist eine einfache Unterkunft mit freundlichen Gastgebern, einer etwas lästigen Fliegenplage und sehr leckerem und umfangreichem Abendessen. Unsere Wäsche konnten wir von den Wirtsleuten waschen lassen.
Nach einem anstrengenden Tag mit sensationellen Abfahrten und einem echten Abenteuer fühlten wir uns sauwohl.
Mit dem Teleobjektiv meiner Kamera kann man von dort auch gut den Zickzacktrail unter dem Piano di Pedenolo erkennen.

Vorherige Etappe Nächste Etappe