GPX-Daten der Etappe

Die Sonne hatte über Nacht eine gewisse Höhenangst entwickelt und brauchte etwas, bis sie den Blick in das Val Vanoi hinunter wagte. Im beschaulichen Caoria fand sie eine Gruppe tatendurstiger Mountainbiker vor, die allerdings durch einen Plattfuß am Aufbruch gehindert wurden.
Johannes Hinterrad mit seiner PerfMaster™-Felge verlangte morgens ja bereits mehrfach nach frischer Luft. Heute würden wir allerdings um eine Reparatur nicht umhinkommen. Während ich also hastig den defekten Schlauch flickte und die anderen einen neuen einzogen, schilderte uns Johannes, wie er am Tag der Anreise nach Gries noch zwei nagelneue Schläuche hat wegwerfen müssen, weil sie offenbar produktionsbedingt undicht waren. Er nannte auch die Marke. Es würde aber dem Hersteller unrecht tun, wenn ich das hier wiederholte.

Mit einer Viertelstunde Zeithypothek starteten wir die Etappe. Das Hotel am Zielort war reserviert. Kein Grund, nervös zu werden.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Vanoi gibt es einen geteerten Weg, auf dem fast keine Autos unterwegs sind, zur Passstraße auf den Passo Brocon. Damit konnten wir die Straße auf der Nordseite des Flusses, auf der fast keine Autos unterwegs sind, vermeiden.

Die Straße zum Pass steigt gemütlich an. Fünf Häuser und ein Dorfbrunnen bilden den Ort Fosse und damit hat man die bewohnten Gebiete auch bereits verlassen. Das Dörfchen Pugnai liegt bereits unterhalb der Straße und zählt deshalb nicht.
Nach nur 500 Metern hatte ich das Fahrerfeld bereits auseinandergerissen und entschloss mich, in der Morgensonne am Straßenrand zu warten. Hans und Olli kamen in kurzem Abstand, Johannes und die Zwillinge waren schon nicht mehr zu sehen.
Weil man sich hier ohnehin nicht verfahren konnte und Olli außerdem ein Navi auf dem Lenker hatte, verabredeten wir, uns spätestens am Pass zu treffen.
Nach 15 Minuten in der aufdringlicher werdenden Sonne begann ich nervös zu werden und ließ mich zum Dorfbrunnen von Fosse zurückrollen. Dort fand ich meine verschollenen Kameraden. Johannes saß sichtlich deprimiert daneben, während Sigurd und Helmut die Innereien von Johannes‘ Hinterrad im Dorfbrunnen ertränkten. Sie waren darüber in einen Disput geraten, ob der Schlauch denn nun dicht sei oder nicht.
Ein Blick auf die Uhr ließ erste Sorge in mir aufkeimen, der Tag würde kürzer, die Strecke aber nicht.
Mit einem hochmütigen: „Wir holen Euch ohnehin schnell wieder ein“ konnte ich die Zwillinge zu einem Verfolgungsrennen animieren.
Schnell noch meinen Ersatzschlauch eingezogen und aufgepumpt nahmen wir die Jagd auf.
Tatsächlich brauchten wir ein wenig, bis wir die beiden schließlich, unser Ringen nach Luft für einen kurzen Moment unterdrückend, überholten.

Natürlich waren sie nicht sauer. Sie hielten sogar kurz an, um uns ihre Hilfe anzubieten, als wir nur wenige Meter später am Straßenrand einen Flicken auf Johannes erneut platt gefahrenen Schlauch klebten.
Sie hielten sogar meinen Vorschlag, uns einen ihrer Ersatzschläuche zu überlassen, für einen gelungenen Scherz und lachten noch, als sie um die nächste Biegung verschwanden.

Uns war es recht. Wir überprüften sogar noch einmal gründlich den Reifen und die PerfMaster™-Felge, um einen Dorn oder einen Span ausschließen zu können.
Nach fünf Kilometern bergauf hatten wir die beiden immer noch nicht eingeholt, aber erneut einen Plattfuß.
Ich hatte kein Flickzeug mehr und Johannes die Schnauze voll. Nicht nur, wer sein Rad liebt, schiebt.

Die Magie der großen Höhe rettete uns. Wir waren ja 1470 Meter über dem Meeresspiegel und Menschen, denen man in dieser Höhe begegnet, verhalten sich immer auch schon ein wenig wie echte Engel.
Zwei Arbeiter, die am Ausgang eines kurzen Tunnels etwas zu erledigen hatten, luden Johannes samt seinem Rad auf die Ladefläche ihres Kleinlasters und beförderten ihn auf die Passhöhe. Dort überließen sie ihm noch zwei Rollen Klebeband und weigerten sich strikt, Geld oder auch nur ein Getränk als Dankeschön anzunehmen.
Feenstaub wirbelte auf, als sie zu ihrem Kleinlaster zurückgingen.

Während Johannes das Bett seiner PerfMaster™-Felge mit einem dicken, gummiartigen Klebeband auskleidete, wollte ich recherchieren, ob andere bereits ähnliche Erfahrungen mit diesem Felgentyp gemacht haben und siehe da, die Perforation-Master-Felge, wie sie ausgeschrieben hieß, war von einer fundamentalistischen Buddhistengruppe in Eigenproduktion auf den deutschen Markt gebracht worden, um die stets nervösen Mitteleuropäer Gleichmut und Gelassenheit zu lehren.

Johannes‘ Schlauch durch eine dicke Schicht von der gefährlichen Felge getrennt, unseren Durst mit kühlem Weizenbier gestillt und eine lange Abfahrt ins Valsugana vor uns, machten wir uns gleichmütig und gelassen auf den Weg.
Eine Linkskurve, eine Rechtskurve und Helmut, Olli und ich hatten die anderen aus den Augen verloren. Glücklicherweise gab es ein Netz und wir erfuhren, dass alles in bester Ordnung sei. Johannes hatte einen Plattfuß, aber es war nur sehr wenig Gewalt nötig, um von Sigurd einen neuen Schlauch zu erhalten. Sobald alles montiert und Sigurd wieder losgebunden wäre, würde man sich auf den Weg machen.
Olli begab sich ins Homeoffice und erledigte die Korrespondenz der letzten beiden Wochen. Helmut und ich unterstützten die universelle Entropie und warfen Steine in ein weit unten liegendes Bachbett, wo sie ohnehin irgendwann gelandet wären.

Der Pfad nach Castello Tesino war nett, aber nicht spektakulär. Fotografieren hätte uns nur unnötig aufgehalten, spürten wir doch, dass es knapp werden könnte.
Irgendwann mussten wir über einen Weidenzaun und siehe da: Carbonrahmen sind vorzügliche elektrische Leiter.

Der Wirt vom Ristorante Albergo Alpina rief kurzerhand Hilfe herbei und wir bekamen außerhalb der Öffnungszeiten unsere dringend benötigten Spaghetti al Ragu und kalte Getränke. Danke!

Nach unserer Pause war seltsamerweise Johannes Hinterrad platt. Hans hatte aber genug Flickzeug. Die Zwillinge und Olli würden vorausfahren und unsere Herberge auf eine mögliche Verspätung vorbereiten.
Wir konnten also in aller Ruhe noch einmal nach einer Ursache suchen, die wir natürlich prompt nicht fanden. Also legten wir 20 Zentimeter eines alten Schlauches um den geflickten Schlauch dort, wo das Loch war. Problem gelöst!

Die Straße ins Valsugana hinab ist nur mäßig steil. Es geht durch einige Tunnel, weil wir aber genauso schnell unterwegs waren wie die Autos, war das kein Problem.
Das touristische Programm in Grigno hatten wir bereits gestrichen. Guter Dinge überquerten wir den Fiume Brenta, in dem Kinder und Erwachsene Abkühlung an diesem heißen Tag suchten.
Vor uns lag nun der lange Anstieg auf die Hochebene der Sette Communi. Zuvor mussten wir jedoch in der prallen Sonne noch einen Platten reparieren. Immerhin hielt der Reifen jetzt den Druck fast einen Kilometer lang.
Am Dorfbrunnen von Selva di Grigno klebten wir den letzten Flicken des Tages auf einen Schlauch.

In der Auffahrt aus dem Valsugana zum Rifugio Barricata hinauf sammelt man 1100 Höhenmeter. Man kann das alles gut fahren. Am Ende eines langen Tages ist es aber eine hartes, zermürbendes Stück Arbeit.
Immerhin wird man mit prächtigen Tiefblicken ins Tal und einigen Sehenswürdigkeiten entlang der Straße belohnt
Das Rifugio Barricata hatte in diesem Jahr noch keinen neuen Pächter. Wir mussten also ein kleines Stück weiter zum Albergo Marcesina.
Der Speisesaal war voll, von Sigurd, Olli und Helmut jedoch keine Spur.
Ein netter junger Mann konnte uns helfen. Schließlich hatte er ja bereits vor einiger Zeit schon einmal drei Radfahrer weggeschickt, die auch keine Zimmer hier reserviert hatten.

Das Rifugio Marcesina liegt gute drei Kilometer weiter, fast nur bergab und dort wurden wir erwartet. Es gab ausgiebig und lecker zu Essen und Trinken. Ein netter Wirt trieb seine Späße mit uns und ein Koch, der ohne unsere Verspätung seinen Abend vielleicht in der Zivilisation verbracht hätte, war neben uns der einzige Gast für die Nacht in dieser gemütlichen Hütte.

Heute habe ich einmal zusammengerechnet, wie lange wir an diesem Tag mit der Reparatur von Johannes Reifen beschäftigt waren: 267 Minuten!

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