
Es gibt keine Werbung, in der eine Familie gemeinsam und glücklich ein typisch italienisches Frühstück zu sich nimmt. Statt Apfel oder Banane werden Zwieback und Brotaufstriche geschält. Vielleicht bekommt man noch ein albinotisches Brötchen, das beim Versuch, es zu halbieren, in winzige Brotmoleküle zerfällt. Genau so gestaltete sich unser kulinarischer Start in den Tag. Selbst die Fliegen saßen gleichgültig an Wänden und Decken.
Wir konnten es uns nicht leisten, wählerisch zu sein. Unsere nächste Mahlzeit sollten wir um ca. 15 Uhr auf der Forcola di Livigno bekommen. Irgendwann würde die Vorfreude auf zwei der schönsten Abfahrten bei einer Alpenüberquerung alleine uns nicht mehr vorantreiben und dann müssten gewisse Reserven an Kohlenhydraten und was man sonst so braucht verfügbar sein.







Vom Rifugio Monte Scale Park nach Arnoga ist es ein Einrollen. Ein wenig Abwechslung gegenüber den vorherigen Touren lieferte wiedereinmal Johannes‘ amerikanisches hochspezialisiertes Mountainbike. Anstelle der Luft, die im vergangenen Jahr auf keinen Fall in seinem Hinterrad bleiben wollte, zeigte diesmal nach bereits wenigen Metern der Umwerfer für die beiden vorderen Kettenblätter dieselben Fluchttendenzen und löste sich vom Rahmen. Wir banden ihn, den Umwerfer natürlich, irgendwo fest und Johannes entwickelte schnell eine Methode, geschützt durch seine langen Handschuhe, die Kette manuell auf die jeweils benötigte Scheibe umzulegen.
In Arnoga beginnt der Anstieg zum Passo Viola. Eigentlich durchgehend moderat und etwa zur Hälfte sogar auf Teer. Wir sind 2019 bereits zum gleichnamigen Rifugio gefahren. An der phantastischen Bergkulisse hat sich seither nichts geändert.









Das Rifugio ließen wir links liegen.
Kurz vor der Passhöhe gibt es eine hervorragende Möglichkeit, falsch zu fahren. Der Trans Alta Rezia Track, auf dem man unbedingt bleiben sollte, biegt hier an einem gut sichtbaren Wegweiser rechts ab, während man auf dem geradeaus verlaufenden Weg in einen unfahrbaren langwierigen Abstieg gerät, an dessen unterem Ende ein schmaler Weg einen nach Osten zurück zum richtigen Track führt. Der Abstieg ist wirklich eine Kletter- und Hebepassage. Nicht einmal Schieben ist möglich. Zusätzlich entgeht einem ein ganzes Stück des wunderbaren Trails ins Val da Camp. Ich habe das in meinem Bericht zur Transalp 2019 bereits beschrieben.
Helmut und Sigurd wollten offenbar der 2018er Variante nocheinmal eine Chance geben. Nachdem wir anderen hinter der Abzweigung windgeschützt eine halbe Stunde in der Sonne gewartet, gefrühstückt und fotografiert hatten, begann ich nach den beiden zu suchen.
Wanderer auf dem Irrweg betätigten mir bald, die Zwillinge gesehen zu haben.
Wir begannen unsere Abfahrt und konnten dort, wo die beiden Wege zusammentreffen, die vermissten Pfadfinder in der Ferne auf uns zuradeln sehen.
Immerhin können wir nun bestätigen, dass der Trans Alta Rezia Track in jeder, auch in zeitlicher Hinsicht die bessere Lösung ist.







Den Lago Saoseo ließen wir aus. Stattdessen machten wir auf dem inzwischen breit ausgebauten Fahrweg gut Strecke. Beim Wegweiser Mottacalva biegt derTrack der Trans Alta Rezia nach links ab. Wir rollten geradeaus weiter, bis wir etwa beim Ristorante Sfazù die Passstraße erreichten. Der Name ist etwas irreführend. Wir hatten ihn unterwegs bereits mehrfach gelesen und als Ansporn, etwas mehr Tempo zu machen, interpretiert. So kam es, dass wir glücklicherweise eine Abzweigung nach Norden, die uns auf einem schmalen Pfad zur Forcola di Livigno bringen sollte, verpassten. Wir entschlossen uns, auf der Straße zu bleiben. Der Pfad immerhin geriet gelegentlich ins Blickfeld und sah sehr wenig einladend aus.




Hinter der Gabelung, wo man rechts zur Forcola und links zum Berninapass gelangt, passiert man den Osthang des I Gessi, eine unwirkliche Szenerie, steinerne Termitenhügel, die der Erosion und der Schwerkraft trotzen.
Die Forcola di Livigno empfing uns mit leichtem Regen. Gelegenheit also, endlich etwas Ess- und Bezahlbares zu sich zu nehmen.
Vom Rifugio gibt es einen Track einer „Alpin Bike Etappe 3“ zum Osthang des Piz Lagalb.
An der Fuorcla Minor hat dieser allerdings seinen höchsten Punkt noch nicht erreicht. Mit jedoch nur knapp 70 weiteren Höhenmetern kann man aber schließlich zum Berninapass und weiter zum Lago Bianco abrollen und weil es eine Bike-Strecke ist, sollte auch das Meiste fahrbar sein.
Die wunderbaren Bilder aus dem Val Minor bei Google Earth und anderswo gaben meiner Planung eine andere, die falsche Richtung.
Das Val Minor ist tatsächlich eine schöne Gegend zum Wandern, nicht mit dem Mountainbike. Bis man endlich fahren kann, hat man sein Rad gefühlt eine Stunde über und zwischen Steinbrocken von Möbelstückgröße geschleppt. Zum Dank muss man den beinahe dreifachen Höhenunterschied wie auf der Alpin Bike Etappe überwinden.








Deutlich unterhalb des Passes trifft der inzwischen gut fahrbare Trail aus dem Val Minor auf die Berninapasstraße. Nur einige Meter davon beginnt die Seilbahn zur Bergstation Diavolezza und von den sichtbaren Gipfeln dürfte bestimmt der Ostgipfel des Piz Palü der höchste sein. Hier lag er also vor mir, der Blick auf die „Weiße Hölle“.
Keiner sprach es aus, aber es war spät geworden.
Eilig wimmelten wir Philipp ab, der von hier aus nach Sankt Moritz abrollte, wo er mit seiner Familie verabredet war.
Trotz des Zeitdrucks entschieden wir uns, unseren Plan durchzuziehen und die Route südlich des Lago Bianco auszuprobieren. Man befindet sich dort direkt am Fuß der 3000er, das Panorama ist dadurch aber nicht besser als vom anderen Seeufer. Immerhin kostete uns die kleine Variation kaum Zeit.





Hinter der südlichen Staumauer des weißen See waren wir wieder auf dem Fahrweg zur Alp Grüm, für mich der schönste und beste Weg zum Berninatrail.
Man sollte etwas mehr Zeit mitbringen, als wir übrig hatten. Zum Sattsehen wird es vermutlich trotzdem nicht reichen.
Vom Gasthaus Belvedere hat man einen unschlagbaren Blick über das gewaltige Panorama. Leider meldete sich mein Handy. Das Hotel in Tirano war in Sorge, ob wir es bis zur Deadline um 21.00 Uhr noch schaffen würden.
Ein kurzer Blick auf die Uhr und wir teilten diese Sorge.






Ohne Rücksicht auf unsere Dokumentationspflicht stürzten wir uns die Rampe zur Bahnstation hinunter und von dort auf den Berninatrail. Selbst dem Zeitdruck gelang es nicht, uns den Spaß an der Abfahrt zu nehmen. Nicht alle Abschnitte waren im inzwischen einsetzenden Zwielicht des herannahenden Abends noch gut einsehbar. Mit bedrohlichen Überraschungen ist auf dem inzwischen gut gepflegten und teilweise eigens für die Mountainbiker präparierten Trail nicht zu rechnen.
Oberhalb von Poschiavo endet der Trail auf einem schmalen Sträßchen. Ab hier galt es, Tempo zu machen. Wir vergeudeten keine Sekunde für die Stadt, blieben auf der Straße, auch am Lago di Poschiavo und vorbei am Viadukt von Brusio.
Selbst Johannes bestand nicht auf das Willkommensbier auf der Piazza vor der Basilika von Tirano. Wir erreichten unser Hotel, das Albergo Meublé Stelvio sogar noch mit einem kleinen Zeitpolster.
Wenn ich diese Etappe nochmal zu planen hätte, würde ich nicht mehr über die Forcola di Livigno fahren. Dieser Umweg kam ohnehin hauptsächlich durch den Plan, den Trail rechts der Straße zu nutzen, zustande. Weil wir dort aber einen guten Teil hätten schieben müssen, denke ich nun, wir hätten direkt die Straße zum Berninahospiz hinauf kurbeln sollen.
Für den Fall, dass man direkt von Livigno kommt, würde ich selbst für den Weg zum Berninapass jetzt den“Alpin Bike Etappe 3″-Track einplanen. Man bleibt südlich des Piz Lagalb und kann am Lago Bianco direkt in die Abfahrt in Richtung Poschiavo einsteigen. Wenn Ihr in der Nähe seid, nehmt aber unbedingt den Berninatrail mit, selbst wenn die Zeit drängt.