GPX-Daten der Etappe

Quelle: GoogleEarth

„Schnee an der Idalpe!“

Die Wirtsleute begrüßten uns mit schlechten Nachrichten.
Der Plan war, an der Idalpe auf etwa 2300 m, umzusteigen in den Sessellift zum Flimjoch auf über 2700 m.
Quasi auf dem Kamm hätten wir uns dann zur Fuorcla da Val Gronda, zum Teil in über 2800 m Höhe vorgearbeitet, bevor es dann durch eine „Senke“ zum Fimberpass hinauf ging.

Als Alternative diskutierten wir den Weg über die Heidelberger Hütte, den wir aus früheren Alpenüberquerungen inzwischen gut kannten und der zum unvermeidbaren Fimberpass „nur“ auf 2600 m hinauf führte.
Die Stimme der Vernunft sagte, wir sollten auf einen Wetterumschwung vertrauen und das Abenteuer in der Todeszone suchen.
Die „Stimme der Vernunft“ war ein Titel, den sich Johannes selbst verliehen hatte und dessen tiefere Bedeutung uns aus seinen halsbrecherischen Aktionen in kniffligen Fahrsituationen glücklicherweise bewusst war.
Im Nachhinein glaube ich, dass wir es durchaus in die überregionalen Nachrichten geschafft hätten, wären wir seinem Rat gefolgt.

Ich habe schon gelegentlich dafür geworben, bei der Wahl eines Quartiers in Ischgl darauf zu achten, dass im Übernachtungspreis die Silvrettacard inbegriffen ist.
Die Konditionen haben sich etwas verschlechtert. Inzwischen kostet der Biketransport pro Bike 6 Euro. Trotzdem lohnt es sich.

An der Mittelstation wechselten wir von der Seilbahn auf unsere Fahrräder. Die Sonne schaute kurz vorbei, verlor aber bald das Interesse an uns und verschwand für den Rest des Tages hinter einem schmutzig grauen Himmel.

Als wir den „Stein der Weisen“ erreichten, vermischte sich der Regen bereits mit ersten vorwitzigen Schneeflocken. An der Heidelberger Hütte hatte der Schnee den Regen verdrängt.

Von der Heidelberger Hütte zur Passhöhe ist es fast durchgehend sehr steil, oft felsig mit zum Teil hohen Stufen. Wir schoben oder trugen unsere Bikes also ein Gutteil des Weges.
Die Stimme der Vernunft, von der vor uns liegenden Todeszone unwiderstehlich angezogen, verschwand bald zusammen mit Olli und Philipp nach vorne aus meinem Blickfeld. Sigurd und Helmut mühten sich hinter mir durch das Schneegestöber.

An der Passhöhe tobte der eiskalte Wind, kein Wunder, dass niemand auf mich gewartet hatte.
Statt einer langen Bikehose trage ich in meiner Ausrüstung seit einigen Jahren platzsparend Beinlinge über die Berge.
Einer dieser Beinlinge ist im Anstieg immer weiter nach unten gerutscht und bildete nun einen nutzlosen Klumpen oberhalb meines Fußgelenks. Das galt es vor der Abfahrt zu beheben. Nur kurz die Knöpfe und den Reißverschluss am rechten Bein der Regenhose öffnen.
Sobald der Wind einen Angriffspunkt fand, blähte er die Regenhose so auf, dass der Reißverschluss sich komplett öffnete und das rechte Hosenbein waagrecht im Wind flatterte. Mit klammen Fingern den Verschluss endlich wieder geschlossen, zerrte der Wind an den Knöpfen am Hosenbund und zog mir die Hose bis zu den Knien hinunter.
„Ich muss hier weg!“, meldete sich nicht etwa eine Stimmung oder Laune sondern mein Selbsterhaltungstrieb.
Helmut und Sigurd waren kurz vor der Passhöhe. Ich winkte zurück und fuhr los.

Glücklicherweise blieb der Schnee im Trail nicht liegen. Es war zwar nass und größere Platten waren durchaus schlüpfrig. Im Großen und Ganzen konnte man aber gut fahren.
Ich dreht mich immer wieder zu den Zwillingen um, die inzwischen zwar auch in der Abfahrt, aber etwas vorsichtiger und damit langsamer unterwegs waren als ich. Als sich der Weg nach Süden krümmte, hatte ich sie aus den Augen verloren.
Kurz vor dem Bachbett im Tal verwandelte sich der Untergrund in besten Schokoladenpudding und Vorder- und Hinterrad entwickelten eigene, sich zum Teil widersprechende Vorstellungen, in welche Richtung die Reise gehen sollte.

Wenn man den Bach Aua da Chöglias überquert hat, ist der schwierige Teil der Abfahrt überstanden.


Olli, Philipp und Johannes warteten am Weiler Griosch auf mich. Sigurd und Helmut kamen mit einiger Verspätung, unversehrt und mit picobello sauberen Fahrrädern. Sie hatten eine der Bachdurchfahrten für eine Grundreinigung ihrer Gefährte genutzt.

Der Hauptweg nach Ramosch über Vna ist nett, der Trail durch das Val Sinestra ist ein Leckerbissen.

Bereits der erste Abschnitt zum Hof Zuort lohnt sich.


Ein paar Meter weiter zweigt der Trail zum Berghaus Val Sinestra nach rechts vom Hauptweg ab und bietet einem alles, was man von einem Naturtrail erwarten darf.
Und sogar noch etwas mehr. Dank des schlechten Wetters waren wir in dieser Gegend scheinbar alleine unterwegs. Über die beiden Hängebrücken über den inzwischen zum „La Brancla“ angewachsenen Bach brauchten wir nicht abzusteigen und die Fahrt über den schwankenden Untergrund war ein besonderes Erlebnis.
Die „Stimme der Vernunft“ muss wohl erwogen haben, dass ein Pedalieren im Gleichschritt mit den übrigen Fahrern auf der Brücke eine Resonanzkatastrophe bewirken könnte. Er entschied sich also, seinerseits mit rhythmischen Auf- und Abbewegungen mit der Eigenfrequenz der Brücke dem Phänomen entgegenzuwirken.
(Niemand war lange genug auf der Brücke, um dadurch in ernsthafte Gefahr zu geraten.)

Am Berghaus überquert man La Brancla zum letzten Mal und fährt nun Inn-aufwärts, aber dennoch tendenziell immer bergab nach Scuol, wo es über den Inn und zum letzten Anstieg nach S’Charl geht.


Nach meiner Erfahrung ist man auf diesem Abschnitt stets müde und hat nur wenig Interesse an der Landschaft rings herum.

In S’Charl hatten wir winzige Zimmer und ein sehr gutes Abendessen im Gasthaus Mayor.
Die Schweiz ist nicht ganz billig, was Unterkunft und Verpflegung angeht. Aus unserer Sicht stimmte aber das Verhältnis aus Preis und Leistung, zumal es hier warm und trocken war, was wir den ganzen Tag über vermisst hatten.